Abb.: In meiner Hand eine Arbeit von Hermann Glöckner . Hinter mir mehrere Gemälde von Robert Liebknecht, Paris. Davor eine Steinskulptur von Michael Croissant. An der blauen Wand die Arbeit „Hunted and Hunters“, aus der Wolves-Serie #4 von Daphna Kaffeman, Tel Aviv.

Fig.: A work by Hermann Glöckner in my hand. Behind me several paintings by Robert Liebknecht, Paris. In front of me a stone sculpture by Michael Croissant. On the blue wall, the work ‘Hunted and Hunters’, from the Wolves series #4 by Daphna Kaffeman, Tel Aviv.

©Fotos: Marlene Schlarb

WHAT’S ON YOUR WALL?

#6 Ludwig Rinn

 

Eine Kooperation mit der Gießener Allgemeinen Zeitung

A cooperation with the Gießener Allgemeinen Zeitung

 

Ludwig Rinn, was hängt an Ihrer Wand?

 

Vielerlei. Und auch wieder nichts, um Atem zu holen, um frei zu sein für neue ästhetische Eindrücke und leere befreiende Wände zu haben. Konkret: In den reinen Funktionsräumen, wie Badezimmer usw., hängt nichts. Im Schlafraum hängen zwei kleine Bilder von Albert Wigand (*1890, †1978), den ich sammele, da er in den 1910er Jahren bei dem Maler Otto Ubbelohde (*1876, †1922) im oberen Lahntal hospitierte. In der Küche hängt ein Siebdruck von Günther Förg (*1952, †2013), dessen Arbeiten ich inzwischen ganz gut finde, weil sie die amerikanische Moderne, die mich sehr geprägt hat, geschickt unterlaufen. Dort stehen aber auch einige Glasgefäße und keramische Arbeiten der sog. Studio-Keramik und aus ethnologischen Zusammenhängen. In den Wohnräumen ist vielerlei Zeitgenössisches und Historisches.

 

Das sind ja nun sehr unterschiedliche Dinge. Wie kann ich mir einen Reim daraus machen?

 

Das ist natürlich immer die Frage. Ich stelle immer wieder fest, dass Menschen, die hier vorbeikommen, irritiert sind und Schwierigkeiten haben, das alles unter einen Hut zu bringen. Die einfache Antwort ist: Kunst ist vielfältig und ich bin Sammler und nehme mir die Freiheit, dies und das interessant zu finden. In einem nächsten Schritt geht es mir dann darum, in der Verantwortlichkeit der Entscheidung Aspekte der Erhaltung und Vermittlung in die Überlegungen miteinzubeziehen. Auch andere Menschen sollen die Wirklichkeit der Werke erfahren können. Das ist ein Prozess der Öffentlichkeit, der wohl über meine eigene Zeit hinausführen wird.

 

Dann also die generelle Frage: Was verbindet Sie mit den Kunstwerken?

 

Ich nehme sie gegenständlich wahr. Das meint jetzt nicht einen gegenständlichen Inhalt, dass also Malerei die Welt abbildet und man Motive wie eine Landschaft oder eine Person darin wiedererkennen kann. Malerei wie Fotografie und Zeichnungen gelten als Flachware. Und doch sind auch sie gegenständlich-körperlich. Sie brauchen ihren Platz an der Wand, um gesehen zu werden. Sie beanspruchen Raum wie dreidimensionale Gegenstände der Bildhauerei, also Plastik und Skulptur. Ich habe für mich ein Sensorium für diese körperlich-räumlichen Eigenschaften der Kunst entwickelt. Ich lerne die Wirklichkeit der Werke über ihre gegenständlichen Bedingungen kennen. Das ist vielleicht auch eine Gegenbewegung zu der zunehmend virtuellen Welt. Die Mitteilungen der Kunst sind komplex und gehen über ihren Schmuck- und Geldwert weit hinaus. Das einzelne Werk erklärt sich mir in seinen Inhalten leichter im Zusammenhang mit anderen Werken, aus ihrer Ähnlichkeit oder auch Verschiedenheit. Deshalb finde ich Sammlungen immer interessant.

 

Ludwig Rinn leitet die Otto Ubbelohde-Stiftung in Lahntal-Goßfelden bei Marburg, ist Lehrbeauftragter an einer Akademie der Hochschule Koblenz und ist als Kurator tätig.

 

 

 

 

Ludwig Rinn, what’s hanging on your wall?

 

Lots of things. But also nothing, in order to catch your breath, to be free for new aesthetic impressions and to have blank, liberating walls. To be more specific: nothing hangs in the purely functional rooms, like the bathroom for example. Two small paintings by Albert Wigand (*1890, †1978) are hanging in the bedroom, I collect his work because he was a student of the painter Otto Ubbelohde (*1876, †1922) in the upper Lahn valley in the 1910s. A silkscreen by Günther Förg (*1952, †2013) hangs in the kitchen, I like his work now because it cleverly subverts American modernism that had a major influence on me. There are also some glass objects and ceramic works from the so-called studio ceramics and those with ethnological contexts. Many contemporary and historical pieces can be found in the living rooms.

 

Those are very different things. How exactly should I interpret them?

 

Of course, that is always the question. When people visit, I often notice that they are puzzled and find it difficult to reconcile it all. The simple answer is: art is diverse and I am a collector and allow myself the freedom to find different things interesting. The next step for me is to incorporate aspects of conservation and mediation into consideration as part of a responsible decision-making process. Other people should also be able to experience the reality of the works. This is a public process that will probably lead beyond my own time.

 

Now the more general question: What do you associate with the works of art?

 

I perceive them in a representational way. That doesn’t mean a representational content, that painting depicts the world and you can recognise motifs like a landscape or a person in it. Painting, like photography and drawings, are regarded as flatware. Yet they are also representationally physical. They require their place on the wall in order to be seen. They take up space just like three-dimensional objects, i.e. the plastic arts and sculpture. I have developed a sense for these physical-spatial qualities in art. I get to know the reality of the works through their representational conditions. Perhaps this is also a reaction to the increasingly virtual world. Art’s message is complex and goes far beyond its decorative and monetary value. The individual work explains itself to me more easily in its content in connection with other works, from their similarities or differences. That’s what I find so interesting about collections.

 

Ludwig Rinn is head of the Otto Ubbelohde Foundation in Lahntal-Goßfelden near Marburg, lectures at an academy of the Koblenz University of Applied Sciences and works as a curator.

 

Abb. | Fig.:„Hunted and Hunters“, aus der Wolves-Serie #4 von Daphna Kaffeman, Tel Aviv.
 ‘Hunted and Hunters’, from the Wolves series #4 by Daphna Kaffeman, Tel Aviv.

Abb. | Fig.:Günther Förg: o.T., 2000, Farbserigraphie, Glasgefäße von Ingrid Conrad-Lindig, Ingelheim, 2020
Günther Förg: o.T., 2000, colour serigraphy, Glass vessels by Ingrid Conrad-Lindig, Ingelheim, 2020

 

 

Abb. | Fig.:Albert Wigand: Destillation, Spirituosen, Fleischergasse, 1954/um 1964,
32,5 x 39,5 cm, Tusche, Öl auf Malpappe
Albert Wigand: Distillation, spirits, Fleischergasse, 1954/circa 1964,
32.5 x 39.5 cm, Ink, oil on artists board

 

 

 

 

 

Kunsthalle Gießen I Berliner Platz 1 I 35390 Gießen

Telefon: 0641/3061040 I kunsthalle@giessen.de

Di–So: 10–18 Uhr
Der Eintritt ist frei.

Kunsthalle Gießen l Berliner Platz 1 l D-35390 Gießen/Germany

Telephone: +49 641 3061040 l kunsthalle@giessen.de

Tue–Su: 10–18 Uhr
Free entry.

© 2023 Kunsthalle Gießen l Impressum l Datenschutz